Wie Eastwood, irgendwie…
Unplugged spielt Marius Müller-Westernhagen in der Barclaycard Arena – und begeistert mit neuem Sound.
Marius Müller-Westernhagen gehört zu jenen seltenen Stars, die ihr mittlerweile fortgeschrittenes Alter vollständig akzeptiert haben. Der Rockmusiker weiß, dass er nicht mehr derselbe ist wie vor 32 Jahren bei seiner legendären Tour „Keine Zeit“. Er weiß, dass er sich neu erfinden muss und nicht krampfhaft versuchen darf, sein Publikum mit erstarrten Posen und aufgewärmten Erinnerungen einzulullen. Konsequent hat er sich mit seinem neuen Album und der gleichnamigen Tour „MTV unplugged“ neu aufgestellt. Wie er am Freitag in der nahezu ausverkauften Barclaycard Arena eindrucksvoll bewies, erreicht er sein mitgealtertes, aber durchaus auch ein jüngeres Publikum damit ziemlich erfolgreich.
Nein, da turnt kein wild gewordener Westernhagen mehr gestikulierend über die Bühne, animiert sein Publikum fast ekstatisch zum Mitsingen seiner großen Hymnen „Freiheit“ oder „Es geht mir gut“. Westernhagen sitzt mit auserlesenen Musikern auf Barhockern, fast wie die Musiker eines Kammerorchesters. Alle sind in Schwarz gekleidet. Er selber trägt einen schwarzen Hut mit breiter Krempe, ähnlich solchen aus Cowboyfilmen. Fast erinnert er in seinem Outfit an Clint Eastwood. In den großen Videoprojektionen während der Show gibt es viele Nahaufnahmen, die sein verändertes Antlitz, das mittlerweile einige tiefe Furchen aufweist, klar herausstellen.
Wie Eastwood, irgendwie…
Für „unplugged“ hat Westernhagen alte Hits komplett neu arrangiert. An die Stelle wuchtiger E-Gitarren und massiger Soundeffekte treten akustische Gitarren, diverse Blasinstrumente und ein vom Multiinstrumentalisten Kevin Bents fantastisch gespieltes Klavier. Mit Slideguitar- und Bottleneck-Effekten entsteht ein exklusiver Sound, der vielen bekannten Titeln eine ganz ungewohnte, aber vollends überzeugende Ausstrahlung verleihen. Das ging schon gleich mit dem wie eine Countryballade klingenden „Geiler is’ schon“ los, wo Westernhagen in unveränderter Stimmqualität und noch etwas vernuschelter Deklamation seine Sätze „Ich brauch keinen Whiskey, kein Kokain, ich brauch keinen Ferrari“, begleitet von drei Akustikgitarre loslässt. Solche Musiker wie der Gitarrist Carl Carlton legen die Qualitätslatte aber auch bei „Lass uns leben“ um ein Vielfaches höher, als wir es von früheren Westernhagen-Shows kennen. Auch die vier Vokalisten im Hintergrund tragen zum aufgepeppten Klangkleid des Evergreens „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ maßgeblich bei.
Westernhagen, der während der fast zweistündigen, ohne Pause durchgespielten Show fast durchweg auf seinem Hocker sitzen bleibt, wendet sich dann doch mit den Worten ans brav und diszipliniert wie ein Publikum in der Elbphilharmonie lauschenden Leute: „Es ist kein Gesetz, dass ihr sitzen bleiben müsst. Steht auf und tanzt mit.“ Immer mehr Leute tun das auch und singen die berühmten Refrains mit. Mit dem Charme
des Soul einer Vokalistin dekoriert, klang auch „Halt mich noch einmal“ fast introvertiert, auf jeden Fall aber auch extrem persönlich und authentisch. Der etwas älter gewordene Westernhagen ist ja – das darf man nicht vergessen – gerade im Honeymoon. Im Juli heiratete er Lindiwe Suttle, die Tochter einer Südafrikanerin und eines Amerikaners. Natürlich brachte er Lindiwe Westernhagen, wie er sie in Hamburg stolz vorstellte, mit zum Konzert und sang mit ihr – passender geht es ja nun kaum – den Klassiker „Weil ich dich liebe“.
Es waren aber natürlich auch viele neuere Songs des „Unlugged“-Albums dabei, wie die Coverversion von David Bowies „Heroes“, „Liebeswahn“ oder „Lichterloh“. Den Song „Liebe um der Freiheit willen“ schrieb Westernhagen, wie er kurz kommentierte, als er große Hoffnungen auf den Arabischen Frühling setzte, ohne die Folgen diese verheißungsvollen Beginns zu ahnen. „Ich glaube“, sagte er, „dass Künstler da sind, um die Realität zu reflektieren. Dazu gehört auch, jemandem mal auf die Füße zu treten. Demokratie heißt, dass man sich beteiligt. Wir müssen unsere Freiheit verteidigen, wir dürfen sie nicht hergeben.“ Überhaupt freute sich Westernhagen in Hamburg besonders darüber, dass die Leute zum Zuhören bereit waren. Tatsächlich hielten sich wilde Begeisterungsstürme eher in Grenzen. Das Publikum lauschte viel mehr andachtsvoll den großen Balladen der Vergangenheit, die sie zum Teil ihr eigenes Leben seit Jahrzehnten begleitet haben.
Bei aller Begeisterung für die neue Klangwelt sei aber gestanden, dass manchen Hits wie etwa „Willenlos“ oder „Sexy“ das neue Soundkleid nur mäßig stand. „Willenlos“ etwa klang ziemlich blass und wirkte mit den Akustikinstrumenten ein wenig wie eine Coverversion auf dem Hamburger Hafenkonzert. Auch Westernhagens typisches Überkippen der Stimme ist nicht mehr so präsent wie früher. Dennoch: Chapeau, Herr Westernhagen!